Von der frühzeitigen Krebsdiagnose über personalisierte Therapien bis hin zur beschleunigten Medikamentenentwicklung: Dies sind nur einige Beispiele, wie Künstliche Intelligenz (KI) die Medizin in Zukunft leistungsfähiger, effizienter und sicherer machen kann. Rund um den Globus arbeiten Forschende fieberhaft an neuen, KI-gestützten Software-Tools, um den gesamten Prozess der Gesundheitsversorgung von der Prävention über die Diagnostik, Therapie und Nachsorge zu optimieren. In diesem Artikel zeigen wir, was Künstliche Intelligenz in der Medizin schon heute leistet und welche Anwendungen unmittelbar vor dem Durchbruch stehen.

Was ist Künstliche Intelligenz (KI) und wofür wird sie in der Medizin genutzt?

Von Künstlicher Intelligenz spricht man, wenn Computeralgorithmen Probleme auf eine Weise lösen, die menschliches Verhalten imitiert. Der Begriff umfasst eine Reihe technisch sehr unterschiedlicher Ansätze, entsprechend breit gestreut sind die möglichen Anwendungsfelder in der Medizin.

Typische Beispiele für den Einsatz von KI in der Medizin umfassen:

  • Unterstützung bei der bildgebenden Diagnostik
  • Entwicklung personalisierter Therapien
  • Überwachung chronischer Krankheiten
  • Unterstützung in Forschung und Entwicklung
  • Roboterassistierte Chirurgie
  • Datenmanagement und Verwaltung

Sinn und Zweck von Künstlicher Intelligenz in der Medizin ist es nicht, ÄrztInnen zu ersetzen oder in ihren autonomen Entscheidungen zu beschränken. Vielmehr fungiert KI als Assistenz oder zweiter Berater. Die große Stärke der selbstlernenden, bahnbrechenden Technologie liegt in der schnellen und effizienten Verarbeitung und Auswertung hoch komplexer Datensätze. Dadurch ist KI prädestiniert für repetitive Aufgaben, die für Menschen häufig zeitraubend und ermüdend sind, die aber dennoch hohe Präzision erfordern.

7 Beispiele, wie KI die Medizin voranbringt

Doch wie können selbstlernende Systeme im medizinischen Alltag konkreten Nutzen stiften? In welchen Bereichen können sie medizinisches Personal entlasten und die Versorgungsqualität für PatientInnen verbessern? Die folgenden Beispiele illustrieren, welche Chancen sich durch den Einsatz von KI in der Medizin eröffnen.

Beispiel 1: Verbesserte Lungenkrebs-, Brustkrebs- oder Hautkrebs-Diagnose

Als Paradebeispiel für den erfolgreichen Einsatz selbstlernender KI in der Medizin ist die Radiologie zu nennen, und hier vor allem die Krebsdiagnostik. Trainierte KI-Systeme erkennen Tumore auf Röntgen-, CT- oder MRT-Bildern mittlerweile mit einer Genauigkeit, die an das geschulte Auge von RadiologInnen heranreicht.

Das Grundprinzip ist: Man trainiert die selbstlernende Software mithilfe großer Datensätze, um zwischen Normalbefunden und auffälligen Veränderungen zu unterscheiden. Nach Abschluss der Lernphase ist das System in der Lage, unbekannte Bilder selbstständig zu klassifizieren und so beispielsweise Brustkrebs, Lungenkrebs oder Melanome anhand bildgebender Daten zu erkennen.

Dass menschliche und künstliche Intelligenz bei der Diagnose bösartiger Veränderungen im Zusammenspiel erfolgreicher sind als Mensch oder Maschine allein, hat beispielsweise diese Studie zu Lungenkrebs gezeigt.

Im klinischen Alltag geht es häufig darum, dass die KI-Software die Bilder vorklassifiziert und auffällige Befunde kennzeichnet, so dass das ärztliche Personal seine Aufmerksamkeit auf diese Fälle konzentrieren kann.

Beispiel 2: Mit Netzhaut-Scans kardiovaskuläres Risiko voraussagen

Ein weiteres interessantes Beispiel für den medizinischen Einsatz von KI sind Netzhaut-Scans. Sie werden in der augenärztlichen Praxis routinemäßig eingesetzt, um Augenerkrankungen wie etwa eine diabetische Retinopathie zu erkennen. Doch die Retina des Auges ist zugleich ein Spiegelbild für den Zustand des Herz-Kreislauf-Systems insgesamt. Denn alles, was das kardiovaskuläre System beeinträchtigt, führt auch zu dauerhaften Veränderungen der Mikrogefäße im Auge.

ForscherInnen der University of Leeds haben kürzlich ein KI-System mit Retina-Scans und zusätzlichen Metadaten trainiert, um Parallelen zwischen Veränderungen der Netzhaut und Erkrankungen des Herzens zu erkennen. Nach Abschluss der Trainingsphase konnte das System die Größe und Pumpeffizienz des linken Ventrikels allein aus Retina-Scans sowie demographischen Daten abschätzen und damit eine Vorhersage über das Herzinfarkt-Risiko innerhalb der nächsten zwölf Monate treffen.

KI-basierte Netzhaut-Scans könnten künftig somit als effizientes und kostengünstiges Screening-Instrument eingesetzt werden, um Personen mit einem hohen kardiovaskulären Risiko frühzeitig zu identifizieren.

Beispiel 3: KI-gestützte medizinische Frühwarnsysteme für epileptische Anfälle

Epilepsien zählen zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. In Industriestaaten sind rund 0,5 bis 1 Prozent der Bevölkerung betroffen. Nicht immer lässt sich die Erkrankung mit Medikamenten vollständig kontrollieren. Das plötzliche und unerwartete Auftreten der Anfälle hat erhebliche medizinische und psychosoziale Auswirkungen auf das Leben der Erkrankten. Frühwarnsysteme könnten die Sicherheit und Lebensqualität Betroffener somit erheblich verbessern.

Die klassische Epilepsie-Diagnostik mittels EEG konnte in den letzten Jahren mit den Methoden der Künstlichen Intelligenz erheblich verbessert und verfeinert werden. Hier zeigt sich ein weiteres erfolgreiches Beispiel für den Einsatz von KI in der Medizin. So ist es mittlerweile möglich, drohende epileptische Anfälle anhand subtiler Muster in den EEG-Daten bereits eine Stunde im Voraus mit einer Genauigkeit von 99,6 % zu prognostizieren.

Die zukünftige Herausforderung wird darin bestehen, diese Systeme in eine geeignete Hardware zu integrieren und Betroffene mit alltagstauglichen tragbaren Sensoren auszustatten, die anhand der Vitaldaten rechtzeitig eine Frühwarnung ausgeben. So könnte der drohende Anfall mithilfe von Notfall-Medikamenten abgewendet werden.

Beispiel 4: Multiorgan-Monitoringsysteme für die Intensivstation

Ein weiterer Bereich, in dem das Monitoring von Vitalwerten buchstäblich über Leben und Tod entscheiden kann, ist die Intensivstation, wo ein Großteil der Todesfälle auf ein Multiorganversagen zurückgeht. Wenn lebenswichtige Organe wie Nieren, Lunge und Leber zu versagen drohen, wird bislang jedes Organ separat überwacht. Dadurch können aber Organinteraktionen nicht immer optimal berücksichtigt werden. Zudem wird die Arbeit des Intensivpflegepersonals durch die parallele Überwachungstätigkeit erheblich verkompliziert.

Eine Forschungsgruppe des deutschen Fraunhofer-Instituts für Kognitive Systeme IKS arbeitet derzeit an einem KI-basierten Multiorgan-Unterstützungssystem, um ein integriertes Monitoring der Hauptentgiftungsorgane Nieren, Leber und Lunge sowie des Blut-pH-Werts in einem Gerät zu ermöglichen. Zur Entwicklung des Systems wurden Big-Data-Pools mit Patientendaten aus der Vergangenheit genutzt. Die selbstlernende Software leitet daraus Muster ab und vergleicht die aktuellen Daten mit jenen aus der Vergangenheit. Auf dieser Basis werden Prognosen sowie Vorschläge für optimierte Behandlungssequenzen erstellt, um die Patientensicherheit zu erhöhen und die Arbeitsbelastung für das Intensivpflegepersonal zu verringern.

Beispiel 5: Vorhersage von Antibiotika-Resistenzen mithilfe medizinischer KI

Antibiotikaresistenzen nehmen weltweit stetig zu. Multiresistente Bakterien wie MRSA (Methicillin-resistente Staphylokokken) stellen gerade für schwerkranke PatientInnen in Krankenhäusern eine große Gefahr dar. Das Problem: Um Antibiotikaresistenzen aufzuspüren und herauszufinden, welches Antibiotikum möglicherweise noch wirkt, müssen die Keime zunächst im Labor kultiviert werden, wobei wertvolle Zeit verstreicht.

Hier ergibt sich ein weiteres spannendes Beispiel für den Einsatz von KI in der Medizin. Ein Forschungsteam der ETH Zürich hat nun mit Methoden des maschinellen Lernens ein KI-basiertes System entwickelt, mit dem sich Antibiotikaresistenzen im Schnitt bereits 24 Stunden früher feststellen lassen. Dazu haben die Forschenden bestehende Massenspektrometrie-Datensätze aus mehreren Laboren verknüpft und das KI-System darauf trainiert, Zusammenhänge zwischen bakteriellen Proteinen und Antibiotikaresistenzen zu erkennen. In einer retrospektiven klinischen Fallstudie mit 63 PatientInnen schlug die Künstliche Intelligenz in 9 Fällen ein alternatives Behandlungsprozedere vor, das in 8 Fällen zu einem verbesserten Ergebnis geführt hätte. KI-basierte medizinische Vorhersagemodelle könnten wie in diesem Beispiel – so die Hoffnung der Forschenden – dazu beitragen, bakterielle Infektionen gezielter zu behandeln und so auch den Einsatz von Breitbandantibiotika zu reduzieren.

Beispiel 6: KI-basierte Medikamenten-Entwicklung

Die Entwicklung neuer Medikamente ist zeitaufwendig und verschlingt regelmäßig hohe Summen an Forschungsgeldern. Auch die pharmazeutische Industrie setzt daher vermehrt auf Methoden der künstlichen Intelligenz, um die Entwicklung neuer Medikamente zu vereinfachen und zu beschleunigen. Selbstlernende Algorithmen lassen sich in nahezu jeder Phase der Medikamentenentwicklung gewinnbringend einsetzen, einen beispielhaften Einblick für den Einsatz von KI in diesem Bereich der Medizin liefert die Studie aus der Elsevier Public Health Emergency Collection.

Werden intelligente Systeme beispielsweise mit Daten zu Wirkungen und Nebenwirkungen bekannter Substanzen trainiert, so können sie diese Effekte bei neuen Wirkstoffen anhand der biochemischen Struktur vorhersagen. Diese Strategie soll künftig den aufwendigen Prozess der Wirkstofftestung im Rahmen von Tierversuchen und klinischen Studien verkürzen.

Beispiel 7: Personalisierte Krebstherapie

Große Hoffnungen setzen ForscherInnen darin, dass intelligente Algorithmen künftig helfen könnten, individuell maßgeschneiderte Behandlungsstrategien in der Krebstherapie zu entwickeln. Eine der großen Herausforderungen in der medikamentösen Krebsbehandlung besteht derzeit in der Resistenz von Tumorzellen gegen die eingesetzten Wirkstoffe. In der Regel versucht man diese Resistenzen durch Kombinationstherapien zu umgehen. Doch wie lässt sich unter den zahlreichen Möglichkeiten die optimale Kombinationsstrategie finden?

Mit Methoden des Deep Learning haben ForscherInnen ein Vorhersagemodell entwickelt, das auf der Basis bekannter Datensätze zu Wirkstoffen und den Eigenschaften verschiedener Zelllinien mögliche Synergieeffekte verschiedener Wirkstoffkombinationen prognostiziert. Der Einsatz solcher Modelle könnte in Zukunft effektivere Behandlungsstrategien ermöglichen und dadurch die Überlebensrate und den Therapieerfolg verbessern.

KI in der Medizin: Einige Beispiele, was uns in Zukunft erwartet

Bereits heute sind die Einsatzmöglichkeiten von KI in der Medizin breit gefächert. Weltweit arbeiten ForscherInnen an neuen vielversprechenden Anwendungen, von denen einige schon bald den Sprung vom Forschungslabor in die klinische Praxis schaffen könnten.

Die folgenden ausgewählten Beispiele zeigen, welche Wege KI in der Medizin künftig einschlagen könnte:

  • Multimodale Modelle: Die heute verbreiteten KI-Modelle nutzen meist eine einzige Datengrundlage – etwa Röntgenbilder, EEG-Daten oder Aminosäure-Sequenzen. Durch die Verknüpfung heterogener Datenquellen könnten die Systeme in Zukunft noch effizienter übergreifende Muster erkennen und daraus beispielsweise Prognosen und Behandlungsvorschläge ableiten.
  • Digitaler Zwilling: Ein möglicher Anwendungsbereich multimodaler Modelle ist der sogenannte „digitale Zwilling“, also ein durch künstliche Intelligenz errechnetes virtuelles Abbild des realen Menschen. An diesem repräsentativen Modell könnten ÄrztInnen in Zukunft Behandlungen testen und deren Wirkungen und Nebenwirkungen prüfen, bevor sie am realen Menschen zum Einsatz kommen.
  • Integration von Sprachmodellen: Der Einsatz KI-basierter Sprachmodelle in Form von Chatbots hat zuletzt viel öffentliche Aufmerksamkeit erregt, dürfte aber gerade in sensiblen Bereichen wie der Medizin heikel sein. Doch auch Aminosäure-Sequenzen lassen sich als eine Art Vokabular begreifen. Im Bereich der Biotechnologie werden intelligente Sprachmodelle bereits heute genutzt, um völlig neuartige Proteine zu generieren, die es in dieser Form in der Natur nicht gibt. Die Methode könnte sich künftig vor allem für die Medikamentenentwicklung als nützlich erweisen.
  • KI-gestützte Robotik: Robotik und KI sind ein perfektes Team, das in Form von Chirurgierobotern bereits Einzug in die OP gehalten hat. Dabei handelt es sich in aller Regel um sogenannte Master-Slave-Systeme, die vollständig von ChirurgInnen gesteuert werden. Bei zunehmender Autonomie der Systeme könnten intelligente Serviceroboter in Zukunft u.a. als Pflege- oder Assistenzhilfen eingesetzt werden oder körperlich beeinträchtigte Menschen in Form von Exoskeletten in ihrer selbstständigen Lebensführung unterstützen.

KI in der Medizin verantwortungsvoll einsetzen

Wie die hier vorgestellten Beispiele zeigen, bietet Künstliche Intelligenz (KI) für die moderne Medizin immenses Potenzial: Sie hilft dabei, Diagnostik und Behandlungen zu optimieren, die Forschung zu unterstützen und die Arbeitsbedingungen für das ärztliche und pflegerische Personal zu verbessern. Um eine breite gesellschaftliche Akzeptanz sicherzustellen, müssen beim Einsatz von KI in der Medizin stets rechtliche und ethische Aspekte wie Datenschutz, Patientensicherheit, Selbstbestimmungsrecht und Aufklärungspflichten beachtet werden.