Überall dort, wo Menschen arbeiten, passieren Fehler – auch in der Medizin. Kommen dabei PatientInnen zu Schaden, so greift unter bestimmten Voraussetzungen die Arzthaftung. Die Radiologie befindet sich hier in einer Sonderposition: Zwar beschränkt sich ihr Tätigkeitsbereich überwiegend auf die Diagnostik, Fehler können aber dennoch schwerwiegende medizinische und juristische Konsequenzen nach sich ziehen: beispielsweise, wenn durch einen Diagnosefehler eine medizinisch notwendige Behandlung unterbleibt oder verzögert wird. Dieser Artikel klärt, worin die Hauptfehlerquellen in der Radiologie bestehen, was bei Vorwürfen konkret passiert und wie sich radiologische Praxen vor Schadenersatzforderungen schützen. Er konzentriert sich auf die Rechtslage in Deutschland, in den Grundzügen ist das Arzthaftungsrecht jedoch in Österreich und der Schweiz ähnlich geregelt.

Was versteht man unter Arzthaftung?

Wer sich in medizinische Betreuung begibt, hat Anspruch auf eine Behandlung, die den jeweils aktuellen fachlichen Standards entspricht. Dieses Recht gründet sich auf den Behandlungsvertrag zwischen PatientInnen und medizinischen Leistungserbringern, wie er im Bürgerlichen Gesetzbuch durch § 630a BGB definiert ist.

Ein Abweichen von den allgemein anerkannten, wissenschaftlich gesicherten Standards gilt als sogenannter Behandlungsfehler und kann zur Folge haben, dass das verantwortliche ärztliche Personal oder die medizinische Einrichtung für den entstandenen Schaden haften muss. Das Recht auf Schadenersatz geht vertragsrechtlich aus § 280 BGB hervor, lässt sich aber auch deliktrechtlich durch § 823 BGB begründen (Vorwurf der Körperverletzung).

Die Arzthaftung ist in Deutschland wie auch in Österreich und in der Schweiz im Wesentlichen zivilrechtlich geregelt. Bei schweren Verstößen sind darüber hinaus strafrechtliche, standes- und berufsrechtliche Konsequenzen möglich.

Unter welchen Voraussetzungen greift die Arzthaftung in der Radiologie?

Nicht jeder medizinische Fehler hat automatisch haftungsrechtliche Konsequenzen. Grundsätzlich müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein von PatientInnen erhobener Vorwurf tatsächlich eine Arzthaftung begründet:

  • Es liegt ein objektiver Behandlungsfehler vor. Das bedeutet, dass der allgemein anerkannte Facharztstandard unterschritten wurde. Ein konkreter Behandlungserfolg wird hingegen nicht geschuldet.
  • Der Patient oder die Patientin hat einen Schaden erlitten.
  • Der Behandlungsfehler hat den Schaden verursacht.

Der Nachweis dieser drei Aspekte – Fehler, Schaden und Kausalität – ist Dreh- und Angelpunkt jedes zivilrechtlichen Arzthaftungs-Verfahrens.

Die Beweislast liegt im Zivilrecht normalerweise beim Geschädigten. PatientInnen, die Schadenersatz geltend machen wollen, müssen somit nachweisen, dass ein Behandlungsfehler passiert ist und dass sie dadurch einen Schaden erlitten haben. In bestimmten Fällen, etwa bei groben Behandlungsfehlern, kommt es jedoch zu einer Beweislastumkehr. Das hat zur Folge, dass ein Behandlungsfehler im Gerichtsverfahren auch ohne expliziten Nachweis der Kausalität als Ursache für den Schaden angenommen wird.

Zu welchen Behandlungsfehlern kann es in der Radiologie kommen?

Das Fachgebiet der Radiologie nimmt in der Medizin eine Sonderstellung ein, da RadiologInnen in der Regel Untersuchungen vornehmen und Diagnosen stellen, aber nur eingeschränkt therapeutische Maßnahmen planen und durchführen. Mögliche Behandlungsfehler beschränken sich daher vorwiegend auf die Diagnostik. Der Begriff des Behandlungsfehlers schließt in juristischer Hinsicht jedoch alle Aspekte der medizinischen Versorgung ein – von der Untersuchung und Diagnosestellung bis hin zur Aufklärung, Therapie und Dokumentation.

Behandlungsfehler sind daher sehr wohl auch in der Radiologie möglich und können eine Arzthaftung begründen. Zu den Hauptfehlerquellen zählen sogenannte Diagnosefehler, Befunderhebungsfehler sowie Dokumentations- und Aufklärungsfehler.

Diagnosefehler

Unter einer Diagnose versteht man den Schluss von erhobenen Befunden auf eine konkrete Erkrankung. Ein Diagnosefehler liegt vor, wenn RadiologInnen eine richtige Diagnose grob fehlerhaft verkennen – beispielsweise, wenn ein Knochenbruch auf einem Röntgenbild übersehen wird.

Die Rechtsprechung bewertet nicht jede fehlerhafte Auswertung von Befunden in der Radiologie als Behandlungsfehler. Damit erkennen die Gerichte an, dass eine radiologische Bildgebung aufgrund der klinischen Überschneidung von Krankheitsbildern nicht immer eindeutige Schlüsse zulässt und Diagnosen daher grundsätzlich mit Unsicherheiten behaftet sind. Solange das ärztliche Vorgehen nach allgemeinen fachlichen Standards vertretbar erscheint, keine groben Mängel nachweisbar sind und bei Unsicherheiten weitere Befunde eingeholt werden, stellt ein bloßer Diagnoseirrtum daher nicht automatisch schon einen Behandlungsfehler dar.

Befunderhebungsfehler

Ein Befunderhebungsfehler liegt im Unterschied zum Diagnosefehler dann vor, wenn medizinisch notwendige Befunde gar nicht erst erhoben werden. Ein Beispiel wäre der Verzicht auf eine Mammographie bei tastbaren Knoten oder anderen Auffälligkeiten der weiblichen Brust. Im Unterschied zum Diagnosefehler wiegen Befunderhebungsfehler in juristischer Hinsicht schwerer: Während beim Diagnosefehler die Beweislast bei PatientInnen liegt, gilt ein Befunderhebungsfehler in vielen Fällen als grober Behandlungsfehler und kann zur Umkehr der Beweislast führen.

Daraus folgt nicht, dass RadiologInnen jedes nur mögliche diagnostische Verfahren einsetzen müssen, um eine mögliche Arzthaftung zu vermeiden – insbesondere, da auch die Untersuchungen selbst aufgrund der Strahlenbelastung Risiken bergen. Ein Befunderhebungsfehler liegt nach Ansicht der Gerichte nur dann vor, wenn die unterlassene Untersuchung „mit hinreichender Wahrscheinlichkeit“ einen positiven Befund ergeben hätte.

Dokumentations- und Aufklärungsfehler

Auch im Umgang und in der Kommunikation mit PatientInnen können Behandlungsfehler passieren. Grundsätzlich sind PatientInnen über Chancen, Risiken und mögliche Gefahren von medizinischen Eingriffen oder Untersuchungen umfassend aufzuklären. Ein weiteres Arzthaftungsrisiko ist eine unvollständige Dokumentation, denn im Zweifelsfall kann eine nicht dokumentierte Behandlung oder Aufklärung vor Gericht als nicht erbrachte Leistung interpretiert werden.

Arbeitsteilige Behandlung: Wer haftet bei Behandlungsfehlern?

Eine zusätzliche Besonderheit in der Radiologie ist, dass PatientInnen in der Regel von ihren behandelnden ÄrztInnen mit einem konkreten Untersuchungsauftrag an die radiologische Einrichtung überwiesen werden. Bei Haftungsfällen stellt sich daher die Frage, wie die Verantwortungsbereiche abzustecken sind: Wann haftet der Auftraggeber, wann geht die Arzthaftung auf die radiologische Einrichtung über?

Grundsätzlich erstreckt sich die Verantwortung der radiologischen Einrichtung auf die in der Überweisung konkret erbetene radiologische Leistung. Es obliegt dem Auftraggeber, über weitere notwendige Untersuchungen oder Behandlungen zu entscheiden. Allerdings sind RadiologInnen verpflichtet, den gestellten Auftrag kritisch zu überprüfen und bei Zweifeln oder Unstimmigkeiten Rücksprache mit dem Auftraggeber zu halten – etwa wenn die Verdachtsdiagnose und die erbetene Untersuchung nicht zueinander passen.

Arzthaftung und Künstliche Intelligenz (KI): Was ist zu beachten?

Neue Herausforderungen kommen auf das Medizinrecht durch den zunehmenden Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) zu. Die Radiologie nimmt hier eine Vorreiterrolle ein. Grundsätzlich kann KI dabei helfen, Diagnosen besser abzusichern und so mögliche Arzthaftungs-Risiken zu minimieren. Doch wer haftet, sollten beim Einsatz selbstlernender Systeme Fehler passieren?

Der deutsche Bundesverband Medizinprodukte (BVMed) geht in einer Stellungnahme davon aus, dass beim Einsatz von KI-Systemen kein fundamentaler Unterschied zu anderen Medizinprodukten in Hinblick auf mögliche Haftungsrisiken besteht. Denn nach derzeitigem Stand handeln diese Systeme nicht autonom, sondern werden durch qualifiziertes ärztliches Personal beaufsichtigt und unterstützen dieses lediglich bei diagnostischen Entscheidungen. Letztverantwortlich für den fachgerechten Gebrauch bleibt also die radiologische Einrichtung, bei Produktmängeln greift unter Umständen die Herstellerhaftung.

Zu beachten ist jedoch, dass radiologische Einrichtungen ihre PatientInnen über den Einsatz von KI-Systemen aufklären sollten. Sonst könnte der radiologischen Einrichtung womöglich ein Verstoß gegen die ärztlichen Aufklärungspflichten vorgeworfen werden.

Was passiert bei einem ärztlichen Behandlungsfehler?

Bei nachgewiesenen Behandlungsfehlern greift die Arzthaftung und geschädigte PatientInnen haben Anspruch auf Schadenersatz. Dieser umfasst

  • Vermögensschäden wie zusätzliche Behandlungskosten, Pflegekosten, Erwerbsminderung oder entgangener Unterhalt
  • Nichtvermögensschäden („Schmerzensgeld“)

Um ihre Ansprüche durchzusetzen, können PatientInnen eine außergerichtliche Einigung anstreben oder eine Zivilklage gegen das verantwortliche ärztliche Personal bzw. die medizinische Einrichtung einbringen.

Nach dem 2013 in Kraft getretenen Patientenrechtegesetz haben PatientInnen bei Verdacht auf einen Behandlungsfehler ein Recht darauf, von ihrer Krankenkasse bei der Aufklärung und Durchsetzung möglicher Schadenersatzansprüche unterstützt zu werden. Die Krankenkasse zieht in der Regel den zuständigen Medizinischen Dienst heran, der die Behandlungsunterlagen prüft und ein Gutachten zum Fall erstellt. Alternativ oder zusätzlich können sich PatientInnen an die Schlichtungsstelle der jeweiligen Landesärztekammer wenden. Voraussetzung für ein außergerichtliches Schlichtungsverfahren ist es, dass Beschuldigte und deren Haftpflichtversicherung diesem Vorgehen zustimmen. Dann tritt die Schlichtungsstelle im Namen des Geschädigten mit der Haftpflichtversicherung des Beschuldigten in Kontakt und versucht, eine Einigung zu erzielen.

Alternativ haben geschädigte PatientInnen die Möglichkeit einer Zivilklage, die für den Kläger allerdings mit einem Kostenrisiko verbunden ist. Die Landgerichte haben für solche Fälle Arzthaftungs-Kammern eingerichtet, die mit spezialisierten RichterInnen besetzt sind.

Wird dem Geschädigten im außergerichtlichen Verfahren oder im Zivilprozess Recht gegeben, so greift die (in Deutschland verpflichtende) Berufshaftpflichtversicherung. Ein Freibrief ist dieser Versicherungsschutz allerdings nicht: Bei grober Fahrlässigkeit droht unter Umständen ein Regressverfahren, darüber hinaus kann die Versicherung nach einem Schadensfall häufig ein Sonderkündigungsrecht geltend machen.

Checkliste: So lassen sich Arzthaftungsrisiken in der Radiologie minimieren

Arzthaftungsfälle können schwerwiegende ökonomische Schäden, aber auch Reputationsschäden nach sich ziehen. Folgendes können radiologische Einrichtungen tun, um Haftungsrisiken möglichst zu minimieren:

  • Leitliniengerechte Praxis: Radiologische Einrichtungen sollten sich in ihrem diagnostischen Vorgehen ausnahmslos an den Leitlinien anerkannter Fachgesellschaften wie der European Society of Radiology (ESR), Radiological Society of North America (RSNA) oder dem American College of Radiology (ACR) orientieren. Denn diese Leitlinien definieren den allgemein anerkannten „Facharztstandard“, zu dessen Einhaltung ÄrztInnen verpflichtet sind.
  • Standardisierung von Prozessen: Behandlungsfehler kommen häufig durch eine Verkettung von Faktoren zustande, die durch eine lückenlose Standardisierung sämtlicher medizinischer und organisatorischer Prozesse vermeidbar wären. Auch die Kommunikationsprozesse an wichtigen Schnittstellen, etwa zwischen ärztlichem Personal und RöntgenassistentInnen oder der radiologischen Praxis und ihren Zuweisern, sollten nach festgelegten Standards erfolgen.
  • Lückenlose Dokumentation: Zwar bedeutet es in der täglichen Routine einen gewissen Mehraufwand, doch eine konsequente Dokumentation sämtlicher Behandlungsschritte minimiert das Haftungsrisiko, falls Vorwürfe erhoben werden. Dazu zählt auch die Patientenaufklärung oder ein von PatientInnen gewünschter Verzicht auf das Aufklärungsgespräch.
  • Kritische Prüfung des Untersuchungsauftrags: Bei Zweifeln oder offensichtlichen Unstimmigkeiten des Untersuchungsauftrags sollte immer der Kontakt zur überweisenden Einrichtung gesucht werden. Dies gilt auch bei etwaigen Zufallsbefunden.
  • Regelmäßige Mitarbeiterschulungen: BetreiberInnen von radiologischen Praxen haften auch für Fehler ihres Personals. Regelmäßige Schulungen und Weiterbildungen sollten daher selbstverständlich sein.
  • Offene Fehlerkultur: Einrichtungsinterne oder auch einrichtungsübergreifende Fehlermeldesysteme können dazu beitragen, kritische Ereignisse und Fehler objektiv zu analysieren, um sie künftig zu vermeiden.
  • Peer-Review-Verfahren: Irren ist menschlich. Peer-Review-Konzepte, wie sie beispielsweise im Mammographie-Screening etabliert sind, stellen ein effektives Mittel zur Qualitätssicherung und damit zur Vermeidung von Haftungsrisiken dar, sind aber natürlich mit einem erhöhten personellen Aufwand verbunden. Eine Alternative könnten selbstlernende KI-basierte Systeme darstellen, die RadiologInnen als „Sparringpartner“ bei der Diagnosestellung zur Seite stehen und auf mögliche Fehler oder Zufallsbefunde hinweisen.

Arzthaftung in der Radiologie: Risiko nicht unterschätzen

Die Vermeidung von Arzthaftungsrisiken ist gerade in der Radiologie eine enorme Herausforderung, zumal Untersuchungen häufig „im Akkord“ unter Zeit- und Personalmangel bei zugleich hohem Dokumentationsaufwand erfolgen. Radiologische Praxen sollten daher ihre Prozesse kritisch unter die Lupe nehmen und neuralgische Haftungsrisiken identifizieren, um anschließend gezielte Vorkehrungen zu treffen.